„Das hier war Mamas Lieblingsgarten“, antwortete sie leise und ließ ihre feinen Finger sanft über eine Blume gleiten, deren Namen sie nicht kannte. In ihrer scheinbar kühlen Stimme verbarg sich eine glühende Hitze, gleich dem Petroleum, das unter dem Lager vergraben lag. Sie schaute absichtlich nicht in sein Gesicht, denn sie wusste genau, was er sagen würde – irgendwelche dummen, klugen Sprüche, etwas seichte Aufmunterung. Er würde sie dazu ermutigen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sie auffordern, gemeinsam mit ihm von einer Zukunft zu träumen, die niemals kommen würde. Dann, wie schon unzählige Nächte zuvor, würde er zärtlich ihre Wange berühren, so wie sie gerade die Blume streichelte. Die schwüle Wärme des frühen Herbstabends und das unermüdliche Insektenzirpen versetzten sie in Unruhe. Bevor er etwas sagen konnte, brach sie die Blume ab, wandte sich seinem verblüfften Blick zu und setzte ein sanftes Lächeln auf, und steckte die feurig schimmernde Blüte vorsichtig an den goldgesäumten Kragen seines Gewandes.
Der Drache hielt für einen Moment inne, seine bleischweren Lider verengten sich ein wenig, als er die stickige Dunkelheit ringsum prüfte. Natürlich war er nicht darauf hereingefallen, keinen Augenblick lang. Ja, sie hatte ihn hierher in diese enge Felsgrotte gelockt, aber was spielte das für eine Rolle? Er schaute auf sie herab, mit einem Blick voll spöttischer Verachtung, so stechend wie die Federn, auf die er so stolz war. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, der Bogenschützin, die ihm vor Jahrzehnten einen Pfeil in die Kehle gejagt hatte. Diese Frau, die ihn wie ein Lasttier in die tiefen Schatten des Waldes getrieben hatte. Sie, die ihm die einfache Freude nahm, Dörfer der Sterblichen zu verwüsten – eine Frau, die seinen Groll verdiente. Nein, dieses zitternde Kind war nur ein blasser, schwacher Schatten jener Frau. Sie hatte seinen Krallen nichts entgegenzusetzen, ganz zu schweigen von dem düsteren grauenvollen Schicksal, das sie erwartete. Ihre bloße Existenz war geradezu ein Hohn auf ihre Blutlinie, eine Schmach für das uralte Drachengeschlecht. Was für ein törichter Einfall hatte sie dazu gebracht, ihn hierherzulocken? Diese kindische Täuschung würde sie selbst ins Verderben führen. In der Luft lag ein schwacher, fremdartiger Geruch. Ein Anflug von Unbehagen streifte seine Gedanken, verschwand jedoch sogleich wieder hinter seinem Hochmut.
Er öffnete die alte Holztür und roch einen schwachen, seltsamen Geruch nach Feueröl oder trockenem Holz. Ohne dem viel Beachtung zu schenken, nahm er ihre Hand und führte sie weiter in das dämmerige Innere des Lagerhauses. Ganz gleich, was passieren würde, er würde sie in die Zukunft führen, murmelte er vor sich hin, und eines fernen Tages würde er den gesamten Blumenfeder-Klan mit derselben Gewissheit führen. Wie von selbst hob er den Kopf und sein Blick richtete sich auf einen gewaltigen Saurierschädel, der hoch über dem Lager hing. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es hier so ein Artefakt gab, zumindest nicht, bevor er den Klan verlassen hatte, doch das war unwichtig. Lianca und der Nachfolger, den sie gewählt hatte, waren tot, und ihre schwache jüngere Tochter war unfähig, das Zepter des Stammes zu führen. Nur er, der von klein auf der jüngeren Tochter zur Seite gestanden hatte und das Vertrauen des Heiligen Herrschers genoss, war würdig, diese unwissenden Seelen der Zukunft entgegenzuführen, die seine Hoheit ersonnen hatte. Der Älteste Nyamgondho hatte nichts dagegen einzuwenden, schließlich stammte auch er aus dem Blumenfeder-Klan. Nach der Hochzeitsnacht sollten alle Gegenstimmen verstummen.
In diesem Schweigen schlich sich ein fremder Gedanke in ihr Bewusstsein, wie ein Traum, den sie nie geträumt hatte und der jetzt störend ihre Gedanken durchkreuzte. Was wäre, wenn er nie den Blumenfeder-Klan verlassen hätte? dachte sie. Wenn der junge Mann, den sie einst begehrte, der früher stets an ihrer Seite war, nie zum Heiligen Herrscher gegangen wäre? Wäre er überrascht oder traurig gewesen, wenn er ihr Erwachsenwerden, ihren Ungehorsam gesehen hätte? Aus der Finsternis starrten die Augen der Bestie sie an, glühend wie flüssiges Feuer, und ließen sie nicht los. Ihr Puls glich sich ihrem Atem an, bis es unmöglich wurde, sie voneinander zu trennen. Eine kaum sichtbare Bewegung und schon rasten Funken zischend die Lunte entlang, direkt auf das Öl zu. |
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